Geliebte Kurtisane

Geliebte Kurtisane

Historical Gold von Cora Verlag — Erscheinungsdatum 28.5.2013
Originaltitel: „Unclaimed
Band 2 in der Turner-Serie

Egal, wie heftig die Damen der Gesellschaft mit ihm flirten: Sir Mark Turner ist entschlossen, sich seine Tugend bis zur Ehe zu bewahren – und wirkt mit seiner charmanten Zurückhaltung umso unwiderstehlicher! Selbst Königin Victoria ist tief von ihm beeindruckt. Doch dann gerät die Sittsamkeit des Gentleman ohne Fehl und Tadel durch die schöne Jessica Farleigh in Gefahr. Ihre Küsse prickeln wie Champagner und führen ihn in Versuchung. Er ahnt nicht, dass die Frau, die ihn vom Pfad der Tugend abbringen könnte, keineswegs eine respektable Witwe ist – sondern eine Kurtisane, bezahlt von einem Feind, der seinen Ruf ruinieren will …

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Textauszug

London, Juni 1841

Sir Mark Turner hatte so gar nichts Jungfräuliches an sich.

Was daran liegen mochte, dachte Jessica, dass er von Dutzenden Frauen umringt war.

Durch das dicke Glas des Wirtshausfensters ließ sich das Geschehen nur unzureichend verfolgen. Doch selbst draußen, im Dreck der Straße stehend, würde sie kaum mehr gesehen haben. Binnen einer Minute war er belagert gewesen. Kaum war er aus der Tür getreten, war eine Kutsche jäh zum Stillstand gekommen. Eine übereifrige Gouvernante hatte ihre beiden Schützlinge herausgescheucht. Zwei ältere Damen hatten ihn gleich darauf erblickt und wären in ihrer Hast beinahe vor einen Lastkarren gelaufen.

Sir Mark war umzingelt – von Frauen vor allem, aber nicht nur. Gelegentlich fanden auch Männer sich ein, am Hut diese alberne blaue Kokarde. Jessica erhaschte nur hin und wieder einen Blick auf seinen grauen Rock oder sah kurz sein goldblondes Haar inmitten der Meute aufschimmern. Dennoch meinte sie, sein Gesicht, sein Lächeln vor sich zu sehen, das sich in allen Zeitungen reproduziert fand: ein selbstbewusstes, gewinnendes Lächeln, als sei Sir Mark sich wohl bewusst, der begehrteste Junggeselle Londons zu sein.

Jessica verspürte nicht den Wunsch, sich der Schar seiner Bewunderer anzuschließen. Zum einen hatte sie kein Autografenbuch, das sie ihm unter die Nase hätte halten können, zum anderen wäre ihresgleichen ohnehin nicht willkommen.

Sir Mark verstand es, mit dem Ansturm umzugehen. Weder sonnte er sich in der Aufmerksamkeit, noch scheute er sie. Er hielt die Menge geschickt in Schach – signierte Bücher, schüttelte Hände –, derweil er mit unerschütterlicher Ruhe auf die Straßenecke zuhielt, an der seine Kutsche bereitstand.

Dachte Jessica an männliche Jungfrauen, stellte sie sich von Pickeln geplagte Burschen vor oder Buben, die dicke Brillengläser trugen und stotterten, nicht gestandene Mannsbilder – glatt rasiert, markantes Gesicht –, deren Lächeln selbst Licht in eine düstere, verregnete Straße brachte. Was einmal mehr bewies, wie wenig Jessica von männlichen Jungfrauen wusste.

Kein Wunder eigentlich, war ihr während all ihrer Jahre in London noch keine des Weges gekommen.

Neben ihr schnaubte George Weston verächtlich. „Schau ihn dir an, den eitlen Gecken. Führt sich auf, als gehöre ihm die Welt.“

Jessica strich über das Fensterglas. Das war ein wenig übertrieben, aber tatsächlich gehörte Sir Marks Bruder, seit Kurzem Duke of Parford, die Hälfte der Häuser auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Würde sie Weston darüber aufklären, wäre er verärgert, weshalb sie einen Augenblick erwog, es zu tun.

Doch nein, Sir Marks Anblick gab genug Anlass zu Verdruss. An manchen Tagen mochte es den Anschein haben, als drucke jede Londoner Gazette ein Extrablatt, sowie Sir Mark nur nieste. Wie oft war sie schon an Zeitungsjungen vorbeigegangen, welche die jüngsten Skandalblätter schwenkten, auf denen in riesigen Lettern die Frage prangte: Sir Mark dem Tode nah?

„Er scheint zu glauben“, fuhr Weston fort, „nur weil sein Bruder jetzt die Herzogswürde hat“, hier spuckte er aus, „und die Königin ihm einen kleinen Gefallen erwiesen hat, kann er sich alles herausnehmen und andere von ihrem angestammten Platz verdrängen. Wusstest du, dass sie ihn in die Kommission berufen wollen?“

Nein, dachte Jessica, aber sie behielt es für sich. Hier bedurfte es keiner weiteren Irritation. Er würde sich auch ohne ihr Zutun in Rage reden. Zudem brauchte sie ihn noch.

„Nie hat er sich um etwas bemühen müssen“, grollte Weston weiter. „Alles fällt ihm in den Schoß. Weshalb mühe ich mich eigentlich ab, versuche mich einzubringen? Lefevres Posten war mir so gut wie sicher. Er war mir versprochen. Aber nein, jetzt geht er an Turner.“

Sir Mark war bei seiner Kutsche angelangt und lächelte noch ein letztes Mal in die Runde. Bis in den Schankraum drang die lautstarke Enttäuschung seiner Bewunderer, als ein Lakai den Schlag hinter ihm schloss.

„Ich kann mir nicht erklären, wie ausgerechnet er zum Liebling der Londoner Gesellschaft avancieren konnte“, machte Weston seinem Ärger Luft. „Nicht seiner Erfahrung wegen will man ihn berufen, sondern weil man die Gunst der Massen gewinnen will! Es ist mir schleierhaft, was alle an ihm finden. Er weiß nicht einmal die einfachsten Freuden eines Gentleman zu schätzen.“

Womit Weston selbstredend das Trinken und die Hurerei meinte.

„Nun“, meinte Jessica, „immerhin hat er ein Buch geschrieben, das sich einiger Beliebtheit erfreut.“

„Fang jetzt nicht an mit diesem verdammten Brevier für Gentlemen“, knurrte Weston. „Der Mann ist eine wahre Pest.“

Ehe Sir Marks Gespann ihn davontragen konnte, musste der Lakai zunächst die Menge bitten, den Weg frei zu machen. Auch der Wagen stand umzingelt, doch durch das Kutschenfenster konnte Jessica Sir Mark im Profil erkennen. Er setzte seinen Hut ab und ließ den Kopf auf die Brust sinken. Er schien erschöpft und gar ein wenig … verzweifelt?

Aha, frohlockte Jessica im Stillen. Das ständige Lächeln war also nur aufgesetzt. Umso besser. Ein Mann, der sich hinter falscher Fassade verbarg, würde auch vor anderer Täuschung nicht zurückschrecken. Wenn seine zur Schau gestellte moralische Überlegenheit nur Schein wäre, hätte Jessica leichtes Spiel. Armer Sir Mark! Aber wenn er schon ob der Bedrängnis durch seine Bewunderer verzweifelte, geschähe ihm nur recht, was seiner harrte. Popularität hatte eben ihren Preis.

Unglaublich, aber wahr: Sir Marks Buch erfreute sich größter Beliebtheit. Sogar die Königin hatte es gelesen und den Autor umgehend in den Ritterstand erhoben für seinen Beitrag zur allgemeinen Moral. In der Folge hatte man sein Werk in sämtlichen Londoner Salons gelesen, in jeder Sonntagspredigt wurde daraus zitiert. Letzten Monat war eine Taschenausgabe herausgekommen, damit Frauen seine Worte in ihren Rocktaschen tragen konnten – oder in verborgenen Fächern, die extra zu diesem Zweck in die Leibwäsche genäht wurden.

Jessica fand es recht pikant und auch einer gewissen Ironie nicht entbehrend, dass wohlerzogene junge Damen das Brevier für Gentlemen mit praktischer Anleitung zur Keuschheit so dicht am Leib wie nur möglich trugen.

Doch waren Frauen nicht seine einzigen Anhänger. An manchen Tagen sah man sie allerorten: verblendete junge Männer mit blauen Kokarden und ihren angeblich geheimen Handzeichen. Sir Mark hatte das Unmögliche vollbracht. Er hatte Keuschheit zum Kult erhoben.

Weston verfolgte den Aufbruch der Kutsche mit leichtem Kopfschütteln, dann wandte er sich Jessica zu. Ihr war, als hinterlasse sein Blick auf allem einen schmierigen Film.

„Ich nehme an, du hast mich nicht hergebeten, um über Mark Turner zu reden.“ Lüstern senkte er den Blick auf ihren Busen. „Habe ich dir nicht gesagt, du würdest mich vermissen, Jess? Komm schon, erzähl. Welches … Angebot wolltest du mir unterbreiten?“

Er fasste sie beim Arm. Sie biss die Zähne zusammen und tat ihr Bestes, nicht zurückzuzucken.

Jess. Sie mochte es nicht, wenn er sie so nannte. Es klang wie ein Befehl, kurz und knapp, es ließ sie sich fühlen wie ein Falke, den er an kurzer Leine hielt und nur freiließ, wenn ihm der Sinn danach stand. Doch ihre Lage hätte ihr kaum erlaubt, dagegen aufzubegehren.

Eines Tages. Bald. Es war kein Versprechen, das sie sich gab, als er sie nach hinten an einen der Tische führte, es war ihre letzte Hoffnung.

Vor sechs Monaten hatte sie ihn zum Teufel geschickt und geglaubt, ihn nie wiederzusehen. Sollte ihr Plan aufgehen, bräuchte sie ihn nie wiederzusehen. Sie wäre frei von Weston, frei von London … frei von diesem Leben.

Weston rückte ihr den Stuhl zurecht und nahm ihr gegenüber Platz. Jessica sah ihn an. Geliebt hatte sie ihn nie, aber eine Weile war er durchaus erträglich gewesen. Nicht großzügig, aber auch nicht zu fordernd. Er hatte sie beschützt und eingekleidet. Sie hatte sich nicht groß verstellen müssen; er hatte keine falschen Liebesbekundungen von ihr verlangt.

„Nun, Jess“, sagte Weston. „Soll ich nach Tee schicken?“

Seine Worte ließen ihren Atem schneller gehen, jeder Atemzug bereitete ihr Mühe, als steige sie einen hohen Turm hinauf. Fast war ihr, als stünde sie wirklich auf einem hohen Turm – als wäre er nur ein kleines, fernes Wesen, aus großer Höhe betrachtet. Alles schien ganz weit weg.

„Nein, danke“, brachte sie mühsam heraus.

„Ah.“ Er bedachte sie mit vielsagendem Blick. „Verstehe. Trägst du mir das immer noch nach?“

Sie hatte stets gewusst, dass das Leben einer Kurtisane seinen Tribut forderte. Doch sie hatte geglaubt, es würde allmählich geschehen; geglaubt, dieses Leben weitere zehn Jahre auszuhalten, bis ihre Schönheit ohnehin verblüht wäre.

Sie hatte sich getäuscht. Vor sechs Monaten war ihr dieses Leben bei einer einzigen Tasse Tee unerträglich geworden. Als sie nichts erwiderte, lehnte er sich seufzend zurück.

„Na schön. Was willst du?“

Was sie wollte, war eigentlich ganz einfach. Sie wollte wieder etwas spüren.

Wie schlimm es um sie stand, war ihr am ersten schönen Frühlingstag bewusst geworden. Ein Freund hatte sie zu einem Spaziergang im Park gedrängt. Es war ein herrlicher Tag, aber sie hatte nichts, rein gar nichts gespürt. Weder Wärme noch Kälte. Als die Sonne ihr ins Gesicht geschienen hatte, war sie ihr nichts als helles Licht gewesen.

Dieser Mann hatte sie zu kaltem, grauem Stein werden lassen. Sie fühlte nichts mehr, weder auf der Haut noch darunter. Sie hatte keine Seele mehr, keine Hoffnung, keine Zukunft.

„Dir das zu sagen bin ich nicht gekommen“, erwiderte sie.

Nie wieder wollte sie eines ungeliebten Mannes Bett teilen, nie wieder ihren Körper lügen lassen, bis alles Gespür für ihre eigenen Wünsche verloren war. Sie wollte frei sein.

„Du hast eine Belohnung auf die Verführung Mark Turners ausgesetzt.“

Ihre Worte hatten den gewünschten Effekt. Weston schnappte nach Luft. „Woher weißt du, dass ich das war? Ich dachte, ich wäre diskret gewesen.“ Er sah sie an. „Ich habe nicht vor, seinen Ruf auf Kosten meiner eigenen Reputation zu ruinieren.“

„Ich habe mich umgehört“, sagte sie leichthin. „Kurtisanen haben keine Geheimnisse voreinander.“

Er winkte ab. „Wie dem auch sei, es ist vergebene Liebesmüh. Dreihundert Pfund als Belohnung, und die besten Huren Londons sind an ihm gescheitert. Sag bloß nicht, dass jetzt du es versuchen willst.“

Sie erwiderte seinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken.

Weston verzog das Gesicht. „Natürlich, das hätte ich mir denken können. Ganz ehrlich, Jess, wenn du das Geld so nötig brauchst, nehme ich dich zurück.“

Allein der Gedanke daran, was vor sechs Monaten gewesen war, sollte ihr eisige Schauer über die Haut jagen. Aber sie spürte nichts, nur einen kühlen Hauch, der wie graue Schatten über sie glitt.

Sie könnte nach Gerechtigkeit verlangen, auf Rache sinnen – oder zumindest so viel aus ihm herausholen, dass sich die Leere füllen ließe, die er in ihr hinterlassen hatte.

Doch sie hatte vor Jahren schon gelernt, dass es Gerechtigkeit nicht gab, nicht für Frauen wie sie. Es hatte keinen Sinn, geschehenes Unrecht wiedergutmachen zu wollen. Es gab kein Zurück, nur kaum gangbare Pfade durch dichtes Unterholz. Wenn man Glück hatte, stieß man auf einen solchen und schaffte es, der Finsternis des Waldes zu entkommen.

„Du vergisst“, sagte sie, „dass ich diesen Frauen etwas voraushabe.“

Weston rieb sich das Kinn. „Was sollte das sein?“

Verzweiflung, dachte sie.

„Wissen“, sagte sie. „Ich weiß, dass Sir Mark den Sommer im Haus seiner Kindheit verbringt, in einem kleinen Ort namens Shepton Mallet. Vermutlich will er der Bewunderung der Massen für eine Weile entfliehen. Dort ist er fern von Publikum, kann tun und lassen, was er will.“

„Das ist kein Geheimnis, das ist allgemein bekannt.“

„Fühlt er sich unbeobachtet, könnte er versucht sein, vom Weg moralischer Rechtschaffenheit abzukommen. In London würde er es nicht wagen, aber dort …?“ Sie legte eine bedeutungsvolle Pause ein. „Zumindest versuchen will ich es.“

„Da du von meinem Angebot weißt, kennst du gewiss auch die Regeln. Verführe ihn und bring Beweise. Ich habe versucht, ihn mithilfe von Gerüchten zu ruinieren, ebenfalls vergebens. Sein Ring sollte als Beweis genügen. Verkünde deinen Erfolg in den Gazetten und lass den ton an deinen Erfahrungen teilhaben. Wenn dir das gelingt, erhältst du das Geld.“

„Es wird nicht an einem Abend zu schaffen sein. Ich werde Ausgaben haben. Er muss mich für verfügbar halten. Er muss glauben, ich bin nicht gut genug für die Ehe, aber gut genug, um mit ihm … zu verkehren. Ich muss ein Haus auf dem Land mieten, Dienstboten einstellen.“ All das würde ihre Reserven weit über Gebühr strapazieren. Wenn sie scheiterte, bliebe ihr keine andere Wahl, als sich erneut einen Gönner zu suchen. „Dreitausend“, sagte sie.

Das sollte reichen für ein bescheidenes Haus auf dem Land, irgendwo, wo niemand sie kannte, wo sie jeden Morgen für sich hätte und lernen könnte, wieder die Sonne auf ihrem Gesicht zu spüren. Es hieß, die Zeit heile alle Wunden. Jessica hoffte es, hoffte, eines Tages wieder mehr zu spüren als diese schreckliche Leere in sich.

Weston klatschte spöttisch Beifall. „Sieh an. Die Pfarrerstochter hat das Feilschen nicht verlernt. Gib es zu, Jess, ohne mich hättest du es nie so weit gebracht. Eigentlich schuldest du mir noch was.“

Das stimmte, in gewisser Weise. Er hatte sie erschaffen, so wie sie heute war. Und genau deshalb war er ihr etwas schuldig. Es brachte nichts, von Rache zu träumen, wenn es ums blanke Überleben ging. „Dreitausend“, wiederholte sie kühl.

„Eintausend“, konterte er. „Ruiniere ihn, dann sehen wir weiter.“

Sie wollte verdammt sein, wenn sie sich darauf einließ. Doch war sie das nicht längst? Wie viel war ihr Seelenfrieden ihr wert?

„Eintausendfünfhundert. Mein letztes Wort.“

„Einverstanden.“ Er reichte ihr die Hand, als glaubte er ernstlich, sie würde einschlagen.

Kurz erwog sie, sich den Schürhaken vom Kamin zu greifen und seine Hand beiseitezuschlagen. Der Schmerz würde ihn in die Knie zwingen … Die vorgestellte Wucht des Aufpralls riss sie aus ihren Wunschträumen. „Einverstanden“, sagte sie und stand auf.

Seine Hand würde sie nicht nehmen. Nie wieder.

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